Wort und Unwort des Jahres 2011 in Südtirol

19.01.2012

Vertrauenskrise, indignato und Ursus ladinicus - Die Wörter und Unwörter des Jahres 2011 sind gewählt

Ob es um das europäische und italienische Schuldendebakel geht, die SEL-Affäre oder die zunehmende Menge von Empörten, die den Glauben an die Politik verloren haben, ein Wort steht für all diese Themen, die Südtirol im Jahr 2011 besonders bewegt haben: die Vertrauenskrise. Die derzeitige Finanzkrise ist nicht zuletzt auch eine Krise des Vertrauens. Und eine ebensolche ergreift wohl viele, die daran zweifeln, ob wirklich alle den Gürtel gleich eng schnallen müssen, oder auch jene, die sich unter „transparenter Vorgangsweise“ etwas anderes vorstellen als das, was im SEL-Skandal wochenlang in den Medien serviert wurde. Vertrauenskrise wurde deshalb von der Jury zum Wort des Jahres in deutscher Sprache in Südtirol gewählt.
Zum Unwort des Jahres wurde Treuhandgesellschaft gekürt. Was gut und vertrauensvoll klingt – „zu treuen Händen“ liegt dem Begriff zugrunde – ist zumindest in Italien vielfach nichts anderes als eine legale Art, Beteiligungen an einem Unternehmen zu vertuschen. Ein irreführender Begriff also, und somit ein Unwort, das im Zuge der Energie-Affären keineswegs zum ersten Mal in den Südtiroler Medien aufgetaucht ist. Der negative Beigeschmack, den solche Gesellschaften in Südtirol mittlerweile haben, haftet nun auch jenen Treuhandgesellschaften an, die eigentlich nichts „Böses“ im Schilde führen.

Auf die zunehmende Menge der Empörten, der Wutbürger und Indignados nimmt das italienische Wort des Jahres indignato Bezug. Auch dieser Begriff steht beispielhaft für so manche Themen, über die sich Südtirols Bevölkerung 2011 empört und entrüstet hat. Als Unwort des Jahres wurde indennità (Zulage, Entschädigung) gewählt. Was sehr positiv und gerechtfertigt klingt, ist im politischen Zusammenhang eher ein Privilegium für jene, die es eigentlich nicht nötig hätten. Nicht zuletzt wegen einer Debatte, die von der Tageszeitung „Alto Adige“ über längeren Zeitraum geführt wurde, war das Wort 2011 in aller Munde.

Als ladinisches Wort des Jahres wurde Ursus Ladinicus ausgewählt. Dem einzigartigen prähistorischen Bären wurde ein eigenes Museum in St. Kassian gewidmet. Die Jury hat sich auch aus Dank für die Verwendung von ladinischen Begriffen in der internationalen wissenschaftlichen Terminologie für diesen Ausdruck entschieden. Zum Unwort des Jahres wurde der Fondo Brancher gekürt. Der Fonds, mit dem Italien die „Abwanderung“ der ladinischen Gemeinden des Veneto nach Südtirol verhindern wollte, ist nichts als eine leere Sprachblase geblieben. Denn ausgezahlt wurde bis heute nichts. Fondo Brancher ist also ein Wort, das lediglich der Beruhigung diente, dem allerdings keine Taten folgten.

Zum siebten Mal war die Südtiroler Bevölkerung dazu aufgerufen, Vorschläge für die Wörter und Unwörter des Jahres zu machen. Die Beteiligung lag diesmal mit knapp 900 Stimmen besonders hoch. (Zum Vergleich: in der Schweiz gingen 1000 Vorschläge bei der Wahl der Wörter des Jahres ein). Die gesteigerte Beteiligung geht zum einen auf die neue Internetseite www.wopapa.it zurück, über die nun Vorschläge gemacht werden können, und ist der medialen Unterstützung der Aktion zu verdanken.

Die Veranstalter der Aktion – Sprachstelle im Südtiroler Kulturinstitut, Institut für Fachkommunikation und Mehrsprachigkeit der Eurac, Ladinische Abteilung der Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Bozen und die Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann – bedanken sich bei allen, die sich mit Vorschlägen beteiligt haben.
 
Die Jury:
Andrea Abel, Institut für Fachkommunikation und Mehrsprachigkeit, EURAC
Johannes Andresen, Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann
Armin Gatterer, Abteilung für deutsche Kultur
Aivars Glaznieks, Institut für Fachkommunikation und Mehrsprachigkeit, EURAC
Eva Gratl, Oberschullehrerin und Publizistin
Monika Obrist, Sprachstelle im Südtiroler Kulturinstitut
Martina Irsara, Facolté de Scienzes dla Formazion dla Université Ledia de Bulsan
Gerda Videsott, Facolté de Scienzes dla Formazion dla Université Ledia de Bulsan
Paul Videsott, Repartizion ladina dla Facolté de Scienzes dla Formazion dla Université Ledia de Bulsan
Claudia Provenzano, Dipartimento Istruzione e Formazione italiana – Area Pedagogica
Elena Chiocchetti, Istituto di Comunicazione Specialistica e Plurilinguismo, EURAC
Isabella Stanizzi, Istituto di Comunicazione Specialistica e Plurilinguismo, EURAC